Was heisst Schärfe eigentlich genau? Ist schärfe eventuell relativ? Grundsätzlich ist schärfe nichts anderes als das Scharf-Empfinden welches durch das Menschlich Auge vermittelt wird. Wird ein Bild als scharf empfunden so müssen aber viele Faktoren berücksichtigt werden:
- Das Abbildungssystem: Richtiger Fokus bei der Aufnahme, keine Bewegungsunschärfe durch das Motiv, keine Verwacklung durch den Fotografen, grösse Sensor (früher Film)-Format
- Vergrösserungsfaktor: Bilder lassen sich nicht unbegrenzt vergrössern. Das wiederum hängt vom Vergrösserungsfaktor, von der Auflösung in dpi und vom Betrachtungsabstand ab.
Somit lässt sich die Bildschärfe effektiv nur planen, wenn der ganze Abbildungsprozess und das Endprodukt klar definiert sind. Das kommt leider selten vor. Wer hat nicht schon mit geringer Auflösung ein tolles Bild gemacht und musste dann resignieren, als er dieses später Vergrössern wollte. Das trift vorallem auf Handybilder zu, welche faktisch ausser für Social-Media (bzw. 72dpi) für sehr wenig Anwenungen zu gebrachen sind.
Wie kann der Fotograf einfluss nehmen
Ganz einfch, indem er z.B. richtig scharf stellt! Aber Hand auf’s Herz, wer stellt denn heute noch selber scharf? Das macht heute der Autofokus. Und hier fängt das Problem an. Wer ist heute der Fotograf? Ist es die Kamera oder ist es der Mensch hinter der Kamera, welcher entscheidet? Dies kann jeder Leser für sich selber entscheiden. Neben dem Fokus ist auch die Tiefenschärfe entscheidend. Diese wird ausschliesslich über die Apertur (z.B. Blende).
Wer es genau wissen will der kann z.B. nach Tiefenschärfenrechner suchen oder auf Wikipedia seine Kenntnisse in der Berechnung von Dreiecken auffrischen.
Ich empfehle folgende einfachen Faustregeln für Vollformatkameras:
Verwacklung vermeiden: minimale Verschlusszeit = 1 / Brennweite
(ist der Sensor nur halb so gross, dann muss die Verschlusszeit verdoppelt werden.) Das heisst je kleiner der Sensor, desto schlechtere Karten hat man (das hat nichts mit Megapixel zu tun!) Viele Megapixel bei z.B. einem Handy helfen eher, die Verwacklungs-Unschärfe perfekt scharf abzubilden.
Bsp: 400mm Brennweite
=> Vollformat (z.B. FX): 1/400s
=> Halbformat (z.B. DX): 1/800s
=> Handy: mindestens 1/1600s (wenn es denn ein 400mm für Handys gäbe)
Heutige Sensorsysteme können Verwacklungen bis um Faktor 4 ausgleichen. Aber hier begibt man sich dann schnell in die Abhängigkeit der Kamera und lässt diese entscheiden, was scharf wird.
Tiefenschärfe: Wird grösser mit grosser Blendenzahl, wird kleiner mit kleiner Blendenzahl. Ca. 1/3 liegt vor dem Fokus und 2/3 liegen hinter dem Fokus. Diese Abschätzung gilt als Daumenregel für alle Sensorgrössen.
Hyperfokale Distanz: Wenn bis unendlich alles scharf sein soll und auch sonst möglichst viel, dann ist es eventuell falsch, auf unendlich zu fokussieren. Besser ist es dann unter Umständen auf die Hyperfokale Distanz scharf zu stellen und mit der entsprechenden Blende die Schärfe bis in den unendlichen Bereich zu “verlängern”.
Auch hier gilt diese Formel für Vollformatkameras. Je kleiner der Sensor, desto kleiner darf der Unschärfekreis noch sein. Faustregel auch hier: halber Sensor, halber Unschärfekreis
Mit den bisherigen Konstellationen haben wir immer vorausgesetzt, dass Objektebene, Bildebene (Linse) und Abbildungsebene (Sensor/Filmebene) parallel zueinander stehen.
Was geschieht nun, wenn ich eine dieser Ebenen schief stelle? Dabei lässt sich das Objekt in den wenigsten Fällen schief stellen, Bild- und Abbildungsebene aber schon.
Scheimpflug – das Spiel mit den Ebenen
Die Regel nach Theodor Scheimpflug besagt, dass sich Objekt-, Bild- und Abbildungsebene immer in einer Geraden schneiden. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn ich die Bildebene kippe, dann kippt sich auch meine Schärfeebene und ist nicht mehr parallel zur Abbildungsebene.
Stellt man sich dieses Prinzip über zwei Achsen vor, so kann ich meine Schärfenebene fast beliebig in den Raum legen (mit ein paar technischen Einschränkungen, auf die ich hier nicht eingehe). Auf jeden Fall stossen wir hier in den professionellen Bereich vor. Die Balgenkameras mit dem Tuch über dem Fotografen sind vielleicht vielen noch bekannt. Nicht bekannt ist den meisten Leuten, was mit diesen Kameras (sofern sie schwenkbare Achsen aufweisen) alles gemacht werden kann. Ein Schweizer Anbieter zählt hier klar zu den Besten der Welt.
Abgewandelte Systeme gibt es auch für kleinere Kamerasysteme. Ich nutze sehr oft das Nikkor 24mm shift Objektiv:
Damit lässt sich bereits erstaunliches bewerkstelligen:
Hier ein Beipiel wie ein Tisch plötzlich von 0 bis unendlich scharf wird – und dies mit maximal geöffneter Blende:
Die Aufnahmen sind nicht besonders kreativ. Der Effekt ist aber erstaunlich. Jede Zeile auf jeder Zeitschrift ist lesbar von vorne bis hinten und das mit offener Blende!
Solche Shift Objektive kosten um die 2000 Franken. Wer den Effekt ausprobiren möchte, kann z.B. auf Ebay verschiedenste Zwischenstücke kaufen. Diese ermöglichen zwar ein Verschwenken – aber nur nach trial und error – und die Steuerung mit der Kamera ist dann so eine Sache.
Weitere Effekte, die mit solchen Shift-Objektiven möglich sind:
- Objekte können höher oder breiter dargestellt werden
- stürzende Linien können schon bei der Aufnahme korrigiert werden.
Bemerkung am Rande: solche Korrekturen kann man auch mit Bildbearbeitungssoftware machen. Aber das hat nichts mit Fotografie zu tun und führt letztlich dazu, dass gewisse Bildbereiche stärker vergrössert werden als andere und somit schneller unscharf sind. Ich mach das aber auch, da ich nicht immer mit shift unterwegs bin.
Mein Tipp für Leute die mit Schärfe Spielen wollen:
- Vollformatkameras einsetzen
- lichtstarke Objektive verwenden
- Manuell fotografieren